Jürgen Grambeck: Eine Stadtverwaltung muss dem Gemeinwohl dienen

  • Veröffentlicht am: 16. Juni 2021 - 13:50

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Wenig Geld für viele Ziele (© picjumbo)

Jürgen Grambeck: Die Arbeit in einer Stadtverwaltung muss sich am Gemeinwohl orientieren.

Passen eigentlich die Sorge um das Gemeinwohl, das doch das Wohlergehen von der ganzen Gesellschaft meint, mit der landläufigen Vorstellung von Wirtschaft zusammen, bei der es doch in erster Linie um das Profitinteresse von Einzelpersonen oder Gruppen geht?

Unbedingt, meinen Gerd Lauermann und Christian Einsiedel. Beide sind als Berater in Sachen Gemeinwohlökonomie (GWÖ) unterwegs und dabei echte Überzeugungstäter, wie sich im Laufe unseres 40. Stadtgespräches herausstellte.

GWÖ bedeutet nicht, auf Profite zu verzichten, sondern die ökologischen und sozialen Folgen des eigenen wirtschaftlichen Handelns zu berücksichtigen. Die unternehmerischen Entscheidungen in der GWÖ sind von größtmöglicher Nachhaltigkeit und sozialen Verantwortung geprägt.

Um diesen Ansatz zu präzisieren, stellte uns Christian Einsiedel die Gemeinwohl-Matrix als Basis für die Erstellung eines Gemeinwohl-Berichts vor. Er dient zur umfassenden Dokumentation der Gemeinwohl-Orientierung einer Organisation bzw. eines Unternehmens.

https://web.ecogood.org/de/unsere-arbeit/gemeinwohl-bilanz/gemeinwohl-matrix/

Horizontal sind dort vier gemeinwohlrelevanten Werte des Organisationshandelns aufgeführt: 1. Menschenwürde, 2. Solidarität und Gerechtigkeit, 3. Ökologische Nachhaltigkeit,4. Transparenz und Mitentscheidung. Vertikal sind die fünf Berührungsgruppen, d.h. die am wirtschaftlichen Prozess Beteiligten, angegeben: A: Lieferant*innen, B: Eigentümer*innen und Finanzpartner*innen, C: Mitarbeitende, D: Kund*innen und Mitunternehmen, E: Gesellschaftliches Umfeld.

Dadurch ergeben sich auf 5X4 = 20 Feldern 20 Beurteilungskriterien, z.B. C3: Wie fördert das Unternehmen das ökologische Verhalten der Mitarbeitenden.

Diese Matrix befindet sich in ständiger Weiterentwicklung. Der obige Link führt zur Version 5.0, Version 6.0 befindet sich in Arbeit. Für die Unternehmen stellen die Erfüllung der einzelnen Kriterien ein Gradmesser dar, inwieweit sie auf dem Weg zur GWÖ fortgeschritten sind. Ein erfolgreiches Durchlaufen eines Bilanzierungsprozesses auf Grundlage der Matrix führt zur Zertifizierung des Unternehmens als gemeinwohlorientiert im Sinne der GWÖ. Mittlerweile gib es in Deutschland ca. 700 bilanzierte Unternehmen wie Vaude, Völkel, die TAZ und die Spardabank München. Darunter befindet sich auch die in Hiddestorf ansässige Gemüsekiste mit einem der geschäftsführenden Gesellschafter, Matthias Rönicke, der über seine langjährige Erfahrung mit der GWÖ Rede und Antwort stand.

Warum sollte sich ein Unternehmen mit Gemeinwohlorientierung auseinandersetzen? Nach Gerd Lauermann ist die Bereitschaft und der Wille, Wirtschaft anders zu denken, die Voraussetzung. Direkte finanzielle Vorteile etwa im Steuerbereich sind zurzeit nicht zu erwarten. Softpowerwirkungen wie z.B. erhöhte Mitarbeitereffektivität oder größeres Reservoir an Nachwuchskräften durch größere Mitarbeiterzufriedenheit können Aspekte einer strategischen Unternehmenssteuerung sein. Wer jedoch nur auf Marketing setzt, würde schnell in den Verdacht des Greenwashings geraten. Das mit Abstand wichtigste Argument für GWÖ ist jedoch das Gegensteuern bei den sozialen Verwerfungen, die bei den anstehenden Transformationsprozessen durch Klimawandel und Digitalisierung zu erwarten sind.

„Gibt es eine Mindestgröße bei den GWÖ-Unternehmen?“ wollte ein Zuhörer wissen. Das ist nicht der Fall.

Besonderes Interesse fand auch GWÖ bei Kommunalverwaltungen, für die Christian Einsiedel als spezialisierter Berater für Gemeinden und Städte der perfekte Ansprechpartner war. „Was würde eine erste Bilanzierung in Hemmingen kosten?“ Es würden ca. 300 Personenstunden anfallen, insgesamt ca. 20.000€ bei einer Dauer von 9 Monaten. Förderprogramme zur Unterstützung (Bundesländer, EU) sind vorhanden.

Joachim Steinmetz der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Rat gab zu bedenken, dass in der Stadtverwaltung nach der Erarbeitung diverser Konzepte wie z.B. ISEK eine gewisse Ermüdung eingetreten ist. Dem entgegnete Christian Einsiedel, dass ein solches Projekt einen Rundumblick ermöglicht, bei dem alle bisherigen Untersuchungen Eingang finden können. Es wird nach seinen Erfahrungen von den Mitarbeiter*innen als, strategisches, zukunftweisendes Konzept wahrgenommen mit dem Anspruch von Enkeltauglichkeit.

Unser Bürgermeisterkandidat Jürgen Grambeck kann sich als Geschäftsführer eines Unternehmens in der Kultur- und Veranstaltungsbranche ein gemeinwohlorientiertes Wirtschaften sehr gut vorstellen, zumal die besondere Art der Kundenorientierung in diesem Bereich dies von vorneherein nahelegt.

„Auch für die Stadt Hemmingen halte ich die GWÖ für ein sehr interessantes Projekt.“ Dem Einwand, die kommunale Aufsichtsbehörde könnte z.B. im Reinigungsbereich gemeinwohlorientierte Direkteinstellungen aus Kostengründen untersagen, widerspricht er. „Ein Bürgermeister kann sich dagegen erfolgreich zur Wehr setzen.“

Für die knapp 30 Teilnehmer*innen des 40. Grünen Stadtgesprächs war nach gut 2 Stunden das Thema GWÖ eine ermutigende Horizonterweiterung.