Bericht vom 34. Grünen Stadtgespräch: Glyphosat – Segen oder Fluch

  • Veröffentlicht am: 11. Januar 2020 - 14:41

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34. Stadtgespräch (C:A.Praetsch)

Die knapp 40 Besucher (ca. 1/3 davon Landwirte) des 34. Grünen Stadtgespräches „Glyphosat – Segen oder Fluch“ sorgten im Wohnzimmerambiente des „Alten Schulhauses“ für einen intensiven und persönlichen Kontakt. Hatte man angesichts des plakativ formulierten Veranstaltungsthemas eine hitzige Auseinandersetzung befürchtet, wurde man schnell eines Besseren belehrt. Sachlich gegenübergestellte Argumente wurden in einer wohlwollenden Atmosphäre gegenseitigen Respekts diskutiert.

Als erste konnte unsere Landtagsabgeordnete Miriam Staudte ihre kritische Position gegenüber Glyphosat als einem Breitbandherbizit darstellen. Nicht nur dass alle Ackerwildpflanzen in einem Brachialeingriff abgetötet werden, auch die Folgeschäden für die Biodiversität sind offensichtlich und in ihrer Komplexität bisher kaum erfasst. Obwohl Glyphosat ein Herbizid ist, hat es auch direkte negative Auswirkungen auf tierische Lebewesen, deren Darmflora geschädigt wird. Sie verweist auf den gerade erschienenen „Insektenatlas“ des BUND und der Böll-Stiftung. Nach ihrer Ansicht profitieren die Hersteller von Pestiziden am meisten von der Verwendung der chemischen Mittel. Der weltweite Umsatz beträgt aktuell 56,5 Milliarden. Die deutschen Unternehmen BASF und Bayer sind zwei der vier größten Produzenten, die sich 2/3 des Weltmarkts teilen.  Daher ist es auch unglücklich, dass das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) das EU-Zulassungsverfahren federführend geleitet habe. Kritisch ist, dass man sich beim BfR auf Herstellerstudien verlasse und keine eigenen, neutralen Studien durchführe. Staudte verwies auch auf die flächendeckenden Funde von Pestiziden und deren Abbauprodukten im niedersächsischen Grundwasser.

Im Anschluss machte Cord Baxmann seine Motivation als Biobauer deutlich. In ruhigen Worten beschrieb er seinen Werdegang, wie er als Jungbauer noch mit seinem Vater in den 70er Jahren die Ernte einbrachte. 6 Tonnen Weizen pro Hektar waren damals eine gute Ausbeute, heute müssen es dafür doppelt so viel sein. Die Landwirtschaft stand an einem Scheideweg. Um zu solch einer Steigerung zu kommen, mussten die Produktionsprozesse durch Einsatz von Agrarchemie (z.B. Kunstdünger, Pestizide, Insektizide) optimiert werden. Aber schon damals wusste man, dass diese Entwicklung Folgen für die Natur haben wird. Cord Baxmann entschied sich für einen anderen Weg. Einen steinigen Weg, den er mit Gleichgesinnten erst herausfinden musste. Er ist nicht so effektiv (weniger Ertrag) und nicht so effizient (höherer Arbeitsaufwand) wie der der konventionellen Landwirtschaft. Trotzdem ist es eine Erfolgsgeschichte geworden, nicht zuletzt wegen der Direktvermarktung.

Als letzter Referent entwickelte Dirk Wulkopf, wie Cord Baxmann Landwirt aus Hiddestorf, seinen Standpunkt. Aus seiner Erfahrung mit den diversen Ressentiments gegen die konventionelle Landwirtschaft beschrieb er sachlich präzise mit einer hohen Detaildichte, wie er selbst Glyphosat einsetzt. Aus dem großen Anwendungsspektrum des weltweiten Glyphosateinsatzes bedient er sich nur in einem geringeren Teilbereich. Auch das Problem des Krebsrisikos konnte er nachvollziehbar für sich relativieren unter Hinweis auf die Unbedenklichkeitsbewertung durch 9 nationale und internationale Institutionen gegenüber der Bewertung der Weltgesundheitsorganisation: wahrscheinlich krebserregend vergleichbar mit der Gefährdung beim Verzehr von rotem Fleisch. Im Vergleich mit den Problemen beim Einsatz eines Pfluges, sah er sogar ökologische Pluspunkte beim Glyphosateinsatz. Zum Schluss äußerte er noch die Sorge, dass eine totale Ächtung der bisherigen Pflanzenschutzmaßnahmen zu schweren Strukturbrüchen in der Landwirtschaft führen könnte.

In der anschließenden lebhaften Diskussion wurde deutlich, dass ein Glyphosatverbot keine Lösung ist, da sofort ein Ersatzpräparat auf den Markt käme. Vielmehr steht der Einsatz von Herbiziden stellvertretend für grundlegende Strukturprobleme im Landwirtschaftsbereich. Agrarprodukte unterliegen den Mechanismen eines globalisierten Marktes. Die Zwänge etwa zur Produktion zu Weltmarktpreisen erfordern optimierte Produktionsprozesse. Die dazu kaum ersetzbaren Helfer werden durch die Großkonzerne der Agrarchemie bereitgestellt. Patentrezepte zum Ausstieg sind nicht in Sicht. Wenn jedoch die Gesellschaft eine Umsteuerung in der Landwirtschaft wünscht, ist das nur im Lastenausgleich möglich. Das bedeutet, dass die Verbraucherpreise steigen müssen, wenn die Erträge aufgrund von ökologischen Ausgleichsleistungen sinken. Dazu müssen die Verbraucher mit ins Boot geholt werden. Was auch den anwesenden Nicht-Landwirten sofort einleuchtete. Angesichts von Marktmechanismen, die den Preiskampf als Prinzip herausgebildet haben und dabei global generierte Billigprodukte in den Markt schwemmen, dürfte das zunächst ein frommer Wunsch bleiben. Der Markt für Bioprodukte ist momentan ausgeschöpft. Dringend müssen in diesem Zusammenhang auch die Auswirkungen des Mercosur-Freihandelsvertrag überdacht werden.

Kleine Schritte in die richtige Richtung könnten in der Besetzung von Nischen in der Wertschöpfungskette bestehen, wie es zum Beispiel Bioproduzenten klassischerweise durch Direktvermarktung vormachen. Beratung und Unterstützung sollten die interessierten Landwirte über staatliche Förderungsprojekte erhalten. Ein Beitrag, der Hoffnung macht, kam von einem jungen Landwirt aus Hiddestorf, der von einem Projekt berichtete, das Landwirte befähigt, Ackerwildkräuter wieder in der Feldflur anzusiedeln. In der Aussicht, demnächst einen Hof zu führen, zeigte er sich sehr interessiert, Projekte solcher Art zu verfolgen, auch wenn sie zu Ertragseinbußen führen. Ein Landwirt, der so etwas betreibt, erfüllt mit der Wiederherstellung von Biodiversität einen gesellschaftlichen Auftrag und muss auch dafür einen finanziellen Ausgleich erhalten. In diesem Zusammenhang beklagte er auch die unzureichende Beforschung von ökologischen und Strukturwandelproblemen in den Hochschulen und Universitäten. Ein Vorschlag, der direkt auf die Stadt Hemmingen zielte, kam von Dirk Wulkopf, der als Vorsitzender der Flurbereinigungskommission vorschlägt, beim Bereinigungsverfahren im Zusammenhang mit dem Bau der B3-Umgehung Flächen anzukaufen zum Einrichten von Ackerwildkräuterblühstreifen an Feld und Gewässerrändern.

Als sich nach 23.00 Uhr die letzten 10 Besucher auf den Weg nach Hause machten, ist jedoch ein Ziel mit Sicherheit erreicht. Die Barrikaden zwischen Fluch und Segen wurden abgeräumt, falls sie denn je bestanden haben. Es hat ein eingehender Austausch zwischen den Interessengruppen stattgefunden mit der Erkenntnis, dass wir alle im selben Boot sitzen in der gegenseitigen Verantwortung und der gegenüber der Natur als unserer Lebensgrundlage.